Monatsspaziergang im Juni 2025

20.6.2025

Mein Monatsspaziergang im Juni kommt natürlich aus Goslar.

Ich war dort zu den Patchworktagen, aber Goslar ist auch meine Heimatstadt. Meine Fotos hier sind eine sehr persönliche Auswahl. Busfahren ist in Goslar möglich, aber die Busse fahren selten und meist nicht so, wie man es braucht. Das war schon immer so. Mein von frühester Kindheit an gelerntes Verhalten, an einer Bushaltestelle einen allerkürzesten Blick auf die Abfahrtszeiten zu werfen und dann direkt zu Fuß loszulaufen, erwies sich wieder als richtig. Wie gewohnt, bin ich fast alle Wege zu Fuß gelaufen.

Meine Eltern stammten nicht aus Goslar, deshalb ist dort auch kaum noch Verwandschaft und ich mußte mir eine andere Übernachtungsmöglichkeit suchen. Gefunden habe ich ein preiswertes, nicht sehr tolles Hotel im Stadtteil Sudmerberg. Aber dieses Hotel war früher mal das Haus Lydia, dort wurden von uns viele Familienfeste gefeiert. Da war mir die heutige Ausstattung ziemlich egal, ich fand die Location klasse. Ein paar Schritte davon entfernt steht das Haus meiner Großeltern, diese sind schon sehr lange tot, keine Ahnung, wer jetzt in dem Haus lebt. Aber es war schön durch die Straße zu gehen und alten, sehr alten Erinnerungen nachzuhängen.

reihenhaus

Sehr erstaunt war ich am Ende der Straße vom Anblick dieses Parkplatzes:

parkplatz statt kirche

Hatte doch dort eine kleine katholische Kirche gestanden. Ich erinnere mich noch wie sie gebaut wurde, meine katholischen Großeletern fanden es toll, die Kirche so nahe bei zu bekommen. Laut Internetrecherche wurde die Kirche 1969 gebaut und eingeweiht und 2019 abgerissen. Garagen statt Kirche, zeigt doch deutlich die Präferenzen unserer Gesellschaft :(.

Vom Stadteil Sudmerberg bin ich dann durch ein häßliches Gewerbegebiet Richtung Goslarer Altstadt gelaufen. In die kam ich durch das Breite Tor.

breites tor

Rechts neben dem Breiten Tor steht eine rostige Stahlplatte von Richard Serra. Die Stadt Goslar vergibt seit 1975 jedes Jahr an einen bedeutenden, zeitgenössischen Künstler den Kaiserring. Die feierliche Verleihung haben in den ersten Jahren wir vom Musikschulorchester musikalisch umrahmt. Wir haben also den Kaiserringträger live erlebt und all die feierlichen Ansprachen von A - Z mitangehört. Auch wenn ich damals wenig Interesse an zeitgenössischer Kunst hatte, für die Kaiserringträger und ihre Werke habe ich mich dann doch interessiert.

Von  jedem der Künstler wird ein Werk angekauft und in Goslar ausgestellt. Um diese Kunstwerke und vor allem das viele Geld, das dafür bezahlt wurde, gab es in Goslar, jedenfalls damals, immer heiße Diskussionen. Die Stahlplatte von Serra war sehr umstritten.

richard serra breites tor

Weiter geht es durchs Breites Tor und dahinter in die Breite Straße, beide waren breit genug, um dort mit Kutschen zu fahren, daher der Name. Wie fast überall in der Goslarer Altstadt gibt es geschlossene Reihen von Fachwerkhäusern.

breite strasse

Das Fachwerk mancher Häuser ist ganz üppig und prächtig verziert, ebenso die Türen der reicheren Häuser. Davon kann man jede Menge Bilder im Internet finden Hier am unteren Ende der Breiten Straße, gibt es ebenfalls jede Menge schöner, alter Türen, aber nicht ganz so reich verziert. 

Von der breiten Straße bin ich in die Kniggestraße abgebogen zur Goetheschule. Dort waren Quiltausstellungen und ein Teil der Ladenstraße in der Turnhalle und der Aula.

2 goetheschule

Aber die heutige Goetheschule war früher das Christian-von-Dohm-Gymnasium, ein Mädchengymnasium. Als ich dort anfing, waren wir noch streng getrennt nach Geschlechtern, erst zwei Jahre später wurde gemischt. Das Gebäude war damals für uns Schülerinnen viel, viel zu klein. Pläne, ein größeres zu bauen hatte es schon in den 1930-ger Jahren gegeben. Der 2. Weltkrieg und die Nachkriegsjahre haben einen Neubau verhindert. Zu meiner Zeit mußten wir in sehr vielen anderen Schulen in Goslars Innenstadt Klassenräume benutzen. Es gab immer sogenannte Wanderklassen, die jede Unterrichtsstunde in einem anderen Gebäude hatten. Eifrige Schülerinnen, die wir damals waren, waren die Wege natürlich endlos lang, eine halbe Stunde mußte frau schon gehen. Heute versuche ich manchmal den einen oder anderen Weg in der damals benötigten Zeit zu gehen, aber egal, wie oft ich stehen bleibe und wie ausführlich ich mitgehenden Freunden was erkläre, länger wie 20 Minuten brauche ich nie. 1974 haben wir dann für eine neue Schule gestreikt, die wir 1975 bekamen. Diese neue "Christiane" wurde letztes Jahr schon wieder abgerissen, weil in ihr zuviel Asbest verbaut worden war. Die alte Schule bleibt für mich die alte Christiane. 

1 goetheschule

Von dort ging ich weiter Richtung Goslarer Museum bzw. Kulturmarktplatz (Kuma), aber ich bin kurz davor abgebogen und habe mir die ehemalige Goetheschule angeschaut. Teile davon sind heute das Kuma, auch der Rest ist keine Schule mehr. Auch in diesem Gebäude hatten wir als Wanderklasse Unterricht.

ehemalige goetheschule

Von dort war es nicht weit bis zum Großen Heiligen Kreuz.

eingang grosses heiliges kreuz

In der großen Halle gab es die Ausstellung der Patchworkgilde zu ihrem 40. Geburtstag zu sehen. Aber mich haben innen auch die alten Dekorationen und Türen fasziniert.

grosses heiliges kreuz innen

Von dort ist es nur ein Katzensprung bis zur Domvorhalle. Der Dom wurde ca 1040 gebaut und um 1820 wieder abgerissen. Es fehlte das Geld den maroden Bau zu sanieren, er wurde dann einfach als Steinbruch genutzt. Nur die Vorhalle ist übriggeblieben.

domvorhalle

Von hier sieht man dann die Kaiserpfalz. Diese wurde ungefähr zur gleichen Zeit wie der Dom gebaut. Auch sie war Anfang des 19.Jh baufällig und soll damals als Schweinestall genutzt worden sein. Sie wurde um 1870 herum wieder aufgebaut, damals als wieder ein deutsche Kaiserreich entstand. Den Idealen von damals und der Legitimation des neuen deutschen Kaisertums entspricht die Innenausstattung. Vom Musikschulorchester aus haben wir regelmäßig im Saal Konzerte gegeben, der Blick durch die großen Fenster auf Goslar ist toll, den Rest muß man nicht anschauen.

kaiserpfalz

Von der Kaiserpfalz aus ging ich zurück zum Marktplatz, auch hier wieder lauter Fachwerkhäuser.

fachwerkhaeuser am marktplatz

Überrascht war ich vom Anblick des Kaiserworth, ein Gildehaus aus dem Mittelalter, das solange ich es kenne, gehobenes Hotel und Restaurant war. Es ist geschlossen und die Statuen der Kaiser und Könige, die die Fassade geziert haben, sind weg. Vielleicht werden sie restauriert? Im Netz habe ich nichts Genaueres dazu gefunden.

kaiserworth

Nur der Dukatenscheißer, der, der für den Reichtum der Stadt im Mittelalter verantwortlich war, ist noch da. 

dukatenscheisser

 Auch auf dem Marktplatz steht der Brunnen eingerüstet da ohne den goldenen Adler obendrauf, der Brunnen muß saniert werden.

marktplatz ohne adler

Das Glockenspiel oben an dem einen Gebäude wurde 1968 eingebaut. 1968 feierte Goslar sein 1000-jähriges Bestehen. Schon damals war klar, daß die Jahreszahl nicht stimmte, es hieß Goslar sei schon 922 zum 1. Mal urkundlich erwähnt worden. Im Netz habe ich dazu unterschiedliche Angaben gefunden, nur 968 ist es sicher nicht gewesen. Aber die Stadt und die Preussag, die den Bergbau im Rammelsbau und die Erzverarbeitung betrieb, hatten Lust zu feiern. 

Zum Schluß bin ich noch hinter dem Hotel Der Achtermann zur Ruine des St. Georg Klosters hinaufgegangen. Quer über diese Ruinen führte früher mein Weg von der Innenstadt nach Hause.

st georg klosterruinen

Auf dem Weg zurück zum Bahnhof hatte ich nochmal diesen Blick über Goslar. Links sieht man den Teufelsturm, rechts die Türme der Marktkirche. Aber was mich jedes Mal wieder erschreckt, ist der Anblick des Rammelsberges mit den toten Fichten. Alle Berge ringsum Goslar und im ganzen Harz sehen so aus. Jetzt wächst da langsam Gras und es sieht etwas grüner und nicht mehr so kahl aus. Ich bin selten genug in Goslar, für mich ist dieser Anblick so ungewohnt und jedes Mal wieder erschreckend. Im Harz sind überall Fichten angepflanzt worden, sie wachsen schnell und man brauchte das Holz um im Bergbau die Stollen damit auszukleiden. Es war ein Monokultur, anfällig für jede Störung. Der Klimawandel gibt ihr jetzt den Rest.

blick ueber gs

Dieser Monatsspaziergang ist gefüllt mit Geschichte, meiner persönlichen und der der Stadt Goslar.

Ich verlinke ihn wieder bei Heikes Sammlung der Spaziergänge. Mir gefällt diese Möglichkeit einen Spaziergang zusammenzufassen, die wichtigsten Fotos auszusuchen und mich genauer mit all den Geschichten zu befassen, die ich eigentlich nur vom Hörensagen kenne und normalerweise nicht nachprüfe.

Kommentare
20.06.2025 22:57 3he fecit
Goslar nun durch deine Augen und deine Erinnerungen zu sehen ist nochmal ganz anders als meine Erinnerungen von einem sehr regnerischen kurzen Sonntag im späten August 2012, als ich das erste und einzige Mal dort war. Mein Fokus lag natürlich auf den historischen Bauten, ich habe viele Türen fotografiert und erinnere mich noch an die Pfalz. Und an die Fragmente des Doms, und wie amputiert ich die Reste fand. Dein Goslar ist auch historisch, zeigt aber auch andere Teile. Den Parkplatz, an dem mal eine Kirche stand, finde ich traurig. Nur 50 Jahre hatte diese Kirche gestanden, das ist ja nichts. Die (evangelische) Kirche in meinem Heimatdorf wurde 1956 auf Betreiben meines Großvaters und einiger Weiterer initiiert und gebaut, vorher gab es keine, und keiner denkt an Abriss. Parkplatz statt Kirche, wirklich traurig. Und deine Erfahrung mit dem Bus, die scheint mir typisch für kleinere Städte. In all den Jahren in Coburg und Bamberg (40.000 bzw. 70.000 Einw.) habe ich nie das Buswesen ergründet und bin immer alles zu Fuß gegangen. Während ich in Nürnberg und in Graz gerne den Bus nutze. Die Tram sowieso. Deine letzte Bemerkung zum Rammelsberg und zu den Hängen des Harz, man liest immer wieder davon, mag es sich gar nicht vorstellen, und ist entsetzt, wenn man Bilder sieht von der Tristesse der abgestorbenen Bäume. Ich hoffe, man hat gelernt daraus.Danke für den sehr persönlichen Spaziergang und liebe Grüße, heike
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